Nordkurier 12.01.08
Interview mit der Theaterpädagogin Martina Herre
Von Marlies Steffen
Aus dem Netzwerk für Demokratie und Toleranz heraus ist ein multimediales Projekt entstanden, das im Vorfeld des Holocaustgedenktages am 27. Januar junge Leute für den Umgang mit Demokratie sensibilisieren will. Mit der Projektleiterin, der Theaterpädagogin Martina Herre, sprach Marlies Steffen über das Vorhaben.
Marlies Steffen: Ihr multimediales Kunstprojekt ist „HörenSehenHandeln“ überschrieben, sind wir auf dem Weg uns diese Eigenschaften „abzugewöhnen“?
Martina Herre: Ich hoffe nicht. Aber bevor ich handeln kann, muss ich die Dinge und Situationen um mich herum wahrnehmen. Ich muss es sehen und hören wollen.
Sie arbeiten vorzugsweise mit jungen Menschen, wo setzen Sie bei Ihrer Tätigkeit an, um die jungen Leute auch zu erreichen?
Egal für welchen Bereich sich die SchülerInnen im Projekt entscheiden, immer gehen die Workshopleiter vom Erlebnisfeld und von der Erfahrungslandschaft der Jugendlichen aus. Da sind wir uns vom Arbeitsansatz einig. Nur dann haben wir eine Chance, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Wir wollen nicht die Besserwisser sein, sondern möchten ihnen Aktionsräume bieten, damit sie darin lernen können. Wir sind auf diesem Weg ihre Begleiter und sind bereit, uns mit ihnen auseinanderzusetzen, vor allem streitbar zu sein.
Nach dem Projekt kehren die jungen Leute zurück in ihren eigenen Alltag, ist dann nicht alles vorher Erlebte wieder schnell vergessen?
Der Alltag kommt und das ist gut so. Wir sind uns bewusst, dass wir in der Woche die Welt nicht verbessern können. Aber wir sind eingetaucht in eine kreative Welt und haben uns Zusammenhänge vielleicht durch Emotionalität und Gemeinsamkeit besser erschließen können. Dann bleiben Gedanken-und Gefühlssplitter, an die man sich erinnern kann und vielleicht beim nächsten Handeln bewusster zur Verfügung hat.
Wo gibt es Chancen auf eine Langzeitwirkung?
Das ist ein schwieriges Feld. Es gibt keine Rezepte. Aber wir setzen auf den Schneeballeffekt. Mut machen, dass viele da sind, die sich einsetzen wollen, die sich trauen, etwas zu tun. Das ist das Wichtigste, den Mut zu haben, seine Meinung zu vertreten, auch wenn man erst mal denkt, ich bin der Einzige. Oder auch üben, wachsam zu sein, mit wachem Blick, offenem Ohr und mit dem Herzen zu handeln. Vor allem, sich nicht daran zu gewöhnen, „so ist es nun mal, da kann man nichts machen“. Außerdem müssen wir uns bewusst sein, dass die Angst eine unsichtbare Begleiterin ist, die sich eingeschlichen hat, aber auch die Bequemlichkeit.
Sie arbeiten erstmals mit Schülern, die sehr unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen, was versprechen Sie sich davon?
Ich habe Erfahrungen mit Schülern aus unterschiedlichen Schulformen. Ich arbeite in jeder Schulform sehr gern, da es mir gelingt, mich auf sie einzustellen. Das ist jetzt tatsächlich etwas Neues, sie in den Arbeitsgruppen zu mischen. Aber es geht uns um Austausch, in einem geschützten Umfeld den anderen, mit dem ich sonst nichts zu tun habe, kennen zu lernen. Ich bin sicher, dass es ein Geben und Nehmen sein wird. Das Konzept wird von allen Workshopleitern mit getragen, da sie auch diesbezügliche Erfahrungen mitbringen und es vor allem wollen.
Was wird bei dem Projekt überhaupt passieren?
Unser Projekt ist nur möglich, weil es viele gibt, die bereit sind, mit Schülern gemeinsam hören, sehen und handeln wollen. Da sind zum Beispiel die Bildhauerin Ines Diederich, der Schauspieler Klaus Herre, der Musiker Bert Wenndorff, die afrikanischen Tänzer Ben Doulgue und Keala Nkanza, zwei Medienpädagoginnen von der Landesrundfunkanstalt MV Friederike Kastner und Sabine Münch. Vier Tage arbeiten die Schüler in sechs verschiedenen Arbeitsgruppen: Theater, Bühnenraum, Musik, Bewegung, Animationsfilm und Hörfunk. Am Samstag, dem Vorabend des Holocaustgedenktages, werden wir als gemeinsame Gruppe unsere Ergebnisse präsentieren. Klaus Herre wird dazu alle Ergebnisse zu einem Ganzen zusammenfügen. 60 Schüler von Realschule, Gymnasium, Förderschule und Berufsschule sind dabei. Ich habe alle Teilnehmer schon kennen gelernt und bin sehr erfreut über eine hohe Motivation und Neugierde.
Wären nicht Erwachsene auch ein Partner für Ihre spannenden Theaterprojekte?
Auch hier geht es doch oft um Intoleranz und Tunnelblick und darum, dass viele Menschen nicht erreicht werden. Ich habe mich in meiner Berufswahl vor langer Zeit für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entschieden und da liegen meine Stärken. Aber ich stimme zu, dass es bei der Kinder-und Jugendarbeit auch um Elternarbeit geht, denn da entstehen die Haltungen und Meinungen. Vielleicht müsste man tatsächlich über ein Schüler-Lehrer-Elternprojekt nachdenken.
Können wir mit solchen Projekten rechts- oder linksextremes oder intolerantes Denken überhaupt verhindern?
Durch ein Projekt sicherlich nicht. Wir sind nicht blauäugig. Das sind Erscheinungsformen, die wir nicht nur aus Deutschland kennen. Aber wir müssen da, wo Kinder und Jugendliche lernen und leben, hingucken, zuhören, und auch mehr Grenzen aufzeigen. Diese Auseinandersetzung findet jeden Tag statt. Ich weiß, das ist ein harter Kampf. Wir alle sind eben auch Vorbild im Umgang mit Konflikten und im Wegsehen oder Hingucken und Handeln. Wenn ein Mädchen den Heil-Hitler Gruß zu einer ausländischen Mitschülerin zeigt, dann zwingt das zum Handeln.
Stellen Sie sich vor, auf der Straße werden Sie von irgendwelchen Typen angepöbelt, die auf Krawallmache oder dumme Parolen aus sind, was tun Sie?
Da spiele ich nicht den starken Maxen, sondern sehe zu, dass ich Land gewinne. Wenn möglich, würde ich Leute direkt um Hilfe bitten. Ich erinnere mich an eine Situation im Kaufland, als ich vor mir einen jungen Mann mit einem T-Shirt sah und ich darauf lesen musste „Ich scheiß auf sechs Millionen Juden“. Nachdem ich diese Ungeheuerlichkeit überhaupt erfassen konnte, war er verschwunden. Seitdem habe ich oft überlegt und mit anderen besprochen, was man in solchen Situationen tun kann. Zuerst muss ich sehen und hören wollen und dann kann ich handeln.
Über HörenSehenHandeln: „HörenSehenHandeln“ ist ein Projekt, das aus dem Netzwerk für Demokratie und Toleranz heraus entstand. Vom 22. bis 26. Januar werden Schüler der Allgemeinen Förderschule, der IGS- und der Nehru-Schule sowie der Beruflichen Schule Mecklenburg-Strelitz und des Carolinums in sechs Projektgruppen arbeiten. Dabei geht es nicht darum, gegen etwas zu sein , sondern sich darüber zu verständigen, wofür es sich einzusetzen lohnt. Deshalb steht das Projekt im Zeichen von Demokratie und Menschenfreundlichkeit, sagt Projektleiterin Martina Herre.
Kooperationspartner für das Projekt ist das Neustrelitzer Landestheater, wo im Vorfeld des Holocaustgedenktages, am 24. Januar die Ausstellung „Kinder im Holocaust“ eröffnet wird. Die Ausstellung wird im Rahmen der Projektwoche mit den Schülern besucht. Bei der Organisation des Projektes ist Martina Herre nur auf offene Türen gestoßen. „Die Schulen haben sich als tolle Partner erwiesen. Wir können in der IGS arbeiten. Auch das DRK hat uns ohne Kosten Räume zur Verfügung gestellt und durch die Neuwo sind wir unterstützt worden, resümiert die Theaterpädagogin. Träger des Projektes ist die Stadt und finanziell gefördert wird es im Rahmen des „Theater und Schule-Projektes“vom Bühnenverein, Landesverband Nord.